Warum Design Sprints Ärzt:innen und Pflegende näher zusammenbringen?
Design Sprints richtig angewendet provozieren Innovation, Geschwindigkeit und eine andere Art der Zusammenarbeit. Prototypenbasiertes Arbeiten, fokussierte Fragestellungen und schnelle Iterationen sind Kernelemente, die in Design Sprints zum Standardvorgehen gehören und so die Wirkung erzielen von der Dr. Andrea Imhof in diesem Blogartikel erzählt.
Andrea Imhof ist Pneumologie Oberärztin und wurde zum «Design Sprint I» vom Projekt «Prozessdefinition Ambulatorium» eingeladen. Sie hat im Projekt Kick-off vernommen, was damit gemeint ist und dass sie zwei Tage am Stück vom Tagesbetrieb entfernt ist. Sie ist sehr gespannt, ob die genannte Projektstruktur und deren Ergebnisse sich wirklich von den bisherigen Projektergebnissen unterscheidet.
Es ist Dienstag, 09:00 Uhr und der Design Sprint startet pünktlich mit einem Huddle, worin die Ziele und die Risiken gemeinsam geprüft und synchronisiert werden. Andrea merkt schnell, dass eine gewisse Dynamik aufkommt und sich die Personen fernab des Tagesgeschäfts sehr in die neuen ambulanten Prozesse involvieren. Die Fragestellung «Was passiert nun, wenn die Patientin ihren Termin hat und am Eingang des Gebäudes steht?», ist zwar sehr offen aber trotzdem genug konkret, dass die Kolleginnen und Kollegen genaue Vorstellungen entwickeln. Sie erarbeiten unterschiedliche «Prototypen» von Lösungen und testen diese mehrmals im Verlauf des Tages. Es entsteht eine sehr lebhafte, aber sehr interessante Diskussion. Andrea musste zwar zwischendurch immer wieder ihr Telefon beantworten, da im bestehenden Ambulatorium «die Hütte brennt». Aber sie hofft, dass es morgen besser wird. Der Tag endet pünktlich um 16 Uhr und die Ergebnisse sind beeindruckend – ein Tag und die Inhalte sind schon weit vorangeschritten. Sie konnte endlich einmal einen zukünftigen «Lufu-Prozess» mit ihren Kolleginnen und Kollegen prototypisieren und aufzeigen, warum die Nähe zu den Sprechstunden-Prozessen zentral ist. Nebst der Spannung auf den morgigen zweiten Tag des 2-tägigen Sprints überlegt sie kurz vor dem Einschlafen, warum der Workshop heute so produktiv war? Im anderen Projekt, in dem es um die Einführung der digitalen Fieberkurve geht, trifft sich die Projektgruppe alle zwei Wochen drei Stunden zur Besprechung des Projektstands. Die Kolleginnen und Kollegen sind weniger pünktlich und sie hat das Gefühl, dass weniger «produktiv» gearbeitet wird. Es wird vor allem viel diskutiert. Das meinten die Coaches wohl heute mit dem «wir gestalten haptisch mit Prototypen». Es entstehen konkrete «Designs» der Lösungen. Es bleibt spannend und Andrea freut sich auf den nächsten Tag.
Teammedizin über Design Sprints provozieren
Das prototypenbasierten Arbeiten ist der zentrale Modus in Design Sprints, welcher von einem klaren Fokus, wenig Fragmentierung, einem bedürfnisorientierten Ablauf, stetiger Evaluation und intensiver Zusammenarbeit charakterisiert ist. Der geführte Entwicklungsprozess basiert auf dem weltweit führenden Innovationsansatz Design Thinking und den neusten Erkenntnissen aus der Innovationsforschung. Dies ermöglicht den Design-Teams aus den eigenen Erfahrungen und Best Practices immer bessere Lösungselemente zu prototypisieren. So entsteht massgeschneiderte Innovation für die aktuelle Situation sowie die Bedürfnisse der Kunden und Teams vor Ort. Über den gesamten Projektverlauf werden die Fragestellungen des Projekts in mehreren zwei- bis dreitägigen Sprints («Prototyping») erarbeitet und evaluiert. Innerhalb dieser Tage werden in einem interdisziplinären Design Team mehrere Lern- und Entwicklungsschlaufen durchlebt. Typischerweise wird vor den Sprints eine zweitägige Problemanalyse durchgeführt, die der Etablierung eines gemeinsamen Verständnisses der zu adressierenden Bedürfnisse gewidmet ist. Dazu werden in einem sogenannten «Gemba», das Geschehen vor Ort beobachtet und Erkenntnisse für die Projektarbeit abgeleitet. In den ersten beiden Tagen finden situativ, auch Interviews mit Schlüsselpersonen und Themenexperten statt. Diese erste Phase der Problemanalyse – Gemba - ist entscheidend für den weiteren Verlauf der Sprints. Wurde das Problem falsch verstanden oder wurde nicht auf die wichtigsten Bedürfnisse fokussiert, entwickelt das Team Prototypen, die am Ziel vorbeigehen. Andrea entdeckte beispielweise während diesen beiden Tagen, wie wichtig die Information bei der Patientenanmeldung ist, die aber nie zu ihr als behandelnde Ärztin ankommt. Da muss sich definitiv was ändern.
In den darauffolgenden Design Sprints werden in rascher Abfolge sowie mit klarem Fokus Prototypen zur entsprechenden Fragestellung entwickelt und getestet. Wie sieht der Prototyp mit multimorbiden Patienten aus? Welche Anforderungen entstehen aus diesem Kernprozess für die zukünftige IT? Was ist aus Sicht Kapazitätsmanagement für die Tagesklinikplanung nun wichtig? Das in den Testings Gelernte fliesst wiederum in die Verbesserung der Prototypen mit ein. So werden die Lösungen Stück für Stück verbessert und an die Bedürfnisse der Nutzer und Kunden angeglichen. Durch dieses Vorgehen wird sichergestellt, dass nur Lösungen implementiert werden, die den Mitarbeitenden und Kunden einen Mehrwert bieten.
Die folgende Grafik zeigt einen typischen Projektablauf, in welchem über Design Sprints Lösungen erarbeitet werden.
Doch zwei Drittel aller Transformationsprojekte scheitern in der Umsetzungsphase (McKinsey, 2021). Dafür gibt es zwei Hauptursachen: mangelnder Einbezug der mittleren Führungsebene und Widerstand der Mitarbeitenden gegenüber der Veränderung. Beiden Ursachen wird Rechnung getragen, indem mit Hilfe der Design Thinking Methodik eine grosse Anzahl an Personen (aus dem mittleren Management) im Entwicklungsprozess involviert wird und die Prototypen mitgestalten. Die Mitglieder der Design-Teams fungieren für alle Betroffenen als Botschafter der Lösungen und tragen sie in die Organisation. Dies ermöglicht und vereinfacht den Veränderungsprozess. Zusätzlich helfen Coaches, um die Lösungen nachhaltig in der Organisation zu verankern. Die Design Sprint Struktur lässt zudem eine hohe zielorientierte Geschwindigkeit zu – in Entwicklung und nachhaltiger Umsetzung.
7 Prinzipien zum erfolgreichen Prototypisieren
Die wichtigsten Prinzipien der prototypenbasierten Arbeitsweise in den Design Sprints sind:
1. Prototypen haptisch gestalten
Beim Prototypisieren hilft es haptisch, also sichtbar und greifbar zu arbeiten. So können die Details der Lösungen besser kommuniziert und simuliert werden. Also ran an die Kartonschachteln!
2. Verrückte Ideen zahlen sich aus
Es sich bewährt, sogenannte «Dark Horse» Prototypen zu entwickeln. Damit sind radikale Lösungen gemeint, bei denen die zugrunde liegenden Annahmen völlig neu gedacht werden. Während "vernünftige" Lösungen häufig nahe am Ist-Zustand liegen, kommen hier bislang undenkbare Möglichkeiten ins Spiel. Diese Gedankenexperimente sind für die weitere Arbeit äusserst gewinnbringend. Laut einer Studie von Stanford (Durão et. al, 2018) basieren 68% der fundamentalen Innovationen auf Dark Horse Prototypen. Die Dark Horses provozieren wirklich Neues!
3. Zunehmende Detaillierung
Zu Beginn des Lernprozesses werden Prototypen mit einem niedrigen Grad an Genauigkeit entwickelt. Durch die Iterationen werden die Lösungen weiter ausgestaltet und gewinnen an Detailtiefe. Ziel ist es, in einem ersten Schritt Prototypen zu entwickeln, die 80% des auftretenden Kundenvolumens abdecken.
4. Häufige und schnelle Iterationen
Der Lerneffekt ist am grössten, wenn man früh und häufig scheitert und die Arbeit schnellstmöglich exponiert, also im Design Team oder mit Kunden testet. Je öfter der Design Thinking Zyklus durchlaufen wird, desto bessere Prototypen resultieren daraus!
5. Quantität statt Qualität
Im Laufe des Prototyping gilt es, viele Alternativlösungen zu entwickeln. Nach dem Motto «Kill your Darling» sollte einem einzelnen Prototypen oder einer Teillösung nicht zu viel Gewicht gegeben werden.
6. Flache Hierarchien und Fokus auf das Wesentliche
Im Design Sprint gilt es die Hierarchien tief zu halten und jede Interessensgruppe ausgewogen zu Wort kommen zu lassen. Nur so können fruchtlose Diskussionen vermieden werden und gleichzeitig sichergestellt werden, dass das Design Team den Fokus auf das Relevante behält und sich nicht in Detailfragen verliert.
7. Involvierung der richtigen Personen
Bei der Planung der Workshops ist darauf zu achten, dass die richtigen Personen aus den relevanten Bereichen anwesend sind. Auch die Entscheider des Unternehmens dürfen nicht fehlen, damit bei Dissens in der Gruppe oder bei richtungsweisenden Entscheidungen die Interessen des Gesamtunternehmens nicht aus den Augen verloren werden. Weiterhin ist es entscheidend, Raum und Zeit für das Design Team ohne Ablenkungen zu schaffen, damit die provozierte Innovation auch entstehen kann. Diese fokussierte Zeit kommt mittel- und langfristig der gesamten Lösung zugute.
Andrea ist so von dieser Methodik begeistert, dass sie diese direkt im nächsten Projekt vorschlagen wird. Die neue Art der Projektarbeit ist geprägt vom ungebrochenen Fokus auf die Problemstellung. Sie schätzt vor allem dass keine «klassischen «Sitzungen» stattfinden müssen, um relevante Ergebnisse zu provozieren. Zwei aufeinanderfolgende Tage für ein Projekt buchen, klang zuerst nach einem zu hohen Ressourceneinsatz. Doch vergleicht sie den rasanten Projektfortschritt, die Qualität der erzielten Ergebnisse und die nachhaltige Umsetzung mit der sonst fragmentierten Projektarbeit und dem Widerstand bei der Implementierung, zahlt sich die Investition aus. Schlussendlich konnte sie erstmals Schulter an Schulter mit ihren Pflegekolleginnen und Pflegekollegen so aktiv entwickeln. Sie merkt wie sich auch die Kommunikation im Tagesgeschäft verbessert hat.
Haben Sie auch Lust bekommen, ihre Projektarbeit auf ein neues Level zu heben? Dann probieren Sie es doch im nächsten Workshop aus.
Haptische Prototypen
Ist das Projektteam mal wieder in einer Diskussion verfahren, oder kommt in der Problemlösung nicht weiter? Dann lohnt es sich, haptisch zu werden. Nehmen Sie die nächste Kartonschachtel und bauen Sie etwas Konkretes daraus. Die Hand-Augen Koordination fördert die Kreativität und Sie haben einen ersten visuellen Prototypen erschaffen, mit dem sich besser über das Problem diskutieren lässt. Ausserdem macht es Spass!
Literatur
- Durão, L. F. C., Kelly, K., Nakano, D. N., Zancul, E., & McGinn, C. L. (2018). Divergent prototyping effect on the final design solution: the role of" Dark Horse" prototype in innovation projects. Procedia Cirp, 70, 265-271.
- Mckinsey (2021). Losing from day one: Why even successful transformation fall short. https://www.mckinsey.com/business-functions/people-and-organizational-performance/our-insights/how-to-beat-the-transformation-odds
- Osterwalder, A. & Pigneur, Y. (2014). Value Proposition Design: How to Create Products Services Customers Want. Weinheim: Wiley.
- Vetterli, C. & Leifer, L. (2021). Design Thinking. In Angerer A. (Hrsg). New Healthcare Management – 7 Erfolgskonzepte für das Gesundheitswesen. Angerer A. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft